Auf die Autorin Banana Yoshimoto bin ich mit Lebensgeister zum ersten Mal aufmerksam geworden. Ich kenne keinen ihrer vorherigen Romane und wusste auch bei diesem nicht, was mich erwartet. Dementsprechend hatte ich wenige Vorstellungen von dem, was auf mich zukommt. Wie mir Lebensgeister gefallen hat, erzähle ich euch hier.
Klappentext
„Nach einem schweren Unfall und dem Verlust ihres Geliebten ist Sayoko nicht mehr sie selbst. Sie hat das Zwischenreich der Geister betreten und Geheimnisse der unsichtbaren Welt erfahren. In der Tempelstadt Kyoto lernt sie allmählich, das Leben so zu akzeptieren, wie es ist: voller Ungewissheiten und Rätsel, dem Tod immer nahe, egal, ob man jung ist oder alt. Aber sie begreift auch, wie einmalig und geheimnisvoll das Diesseits ist.“ (© Diogenes Verlag)
Ich muss gestehen, ich hatte eine mehr oder weniger gewöhnliche Geschichte mit den Geistern als zentralem Thema erwartet. So lässt es der Klappentext vermuten und in diese Richtung schien sich die Geschichte auch nach Beenden der Leseprobe zu entwickeln. Doch es kam ganz anders.
Ich wusste, dass mit mir etwas Seltsames geschehen war. Dass ich nie wieder der gleiche Mensch werden würde wie zuvor. Die Welt bewegte sich nicht mehr in einer Linie vom Leben zum Tod. (Banana Yoshimoto, Lebensgeister, S. 51)
In Lebensgeister geht es um die Fragen: Wie lebt man nach einem tragischen Unfall weiter und wie geht man mit dem Verlust eines geliebten Menschen um? Damit muss sich Sayoko nach ihrem Unfall auseinandersetzen und findet zunächst keine Antworten darauf.
Obwohl es keinen vorherbestimmten, sicheren Weg gibt, glaubte ich, mich stets auf einem solchen zu bewegen. Nie hätte ich gedacht, dass es sich eines Tages plötzlich ändern könnte. (Banana Yoshimoto, Lebensgeister, S. 77)
Die Geschichte wird aus der Sicht der Protagonistin erzählt und beginnt mit dem Unfall, der Sayokos Leben verändert. Die Gedanken, die sie sich über Leben und Tod und den Verlust geliebter Menschen macht, sind tiefsinnig und voller Gefühl. Auf poetische Weise und mit philosophischem Blick schildert sie, wie sie den Weg zurück ins Leben findet, was ihr dabei eine Hilfe ist und wo sie Unterstützung findet. Trotz der insgesamt eher leichten Sprache erfordert das Buch einiges an Konzentration, denn in den einfachen Sätzen steckt doch unheimlich viel.
Was ich mit mir nehmen kann, werden lediglich Bilder von ihm sein, die Erinnerung an schöne Erlebnisse. Das hieß aber auch: Diese Bilder und Erinnerungen gehörten wirklich mir, nichts und niemand konnte sie mir entreißen. (Banana Yoshimoto, Lebensgeister, S. 50-51)
Zentrale Elemente, die Sayoko auf ihrem Weg begleiten, sind die Kunstwerke ihres Freundes und die Geister, die sie nach dem Unfall sehen kann. Beide helfen ihr auf unterschiedliche Weise mit dem Erlebten und dem Verlust umzugehen. Nach und nach lernt Sayoko mit dem Schmerz umzugehen und ihn als Teil des Lebens zu akzeptieren. Das Spannende an Lebensgeister ist weniger das Was als das Wie. Wie geht das Leben nach einem so schmerzhaften Erlebnis weiter? Wie schafft ein Mensch das?
Niemand liebte seine Kunst mehr als ich, und ich fühlte mich geehrt, mich ihrer annehmen zu dürfen. Ohne sie ließ sich mein Leben nicht erzählen – weder das Glück, das sie mir bescherte, noch den Schmerz, der zwangsläufig mit ihr verbunden war. (Banana Yoshimoto, Lebensgeister, S. 29)
Im Buch gibt es eigentlich nur wenig Handlung. Stattdessen wird der psychische Heilungsprozess auf eindrückliche Weise erfahrbar. Das Ganze wird mit viel Gefühl, jedoch keinesfalls kitschig dargestellt. Und obwohl das Buch oft sehr traurig und melancholisch ist, bleibt am Ende doch das Positive im Gedächtnis. Leichte Unterhaltung ist jedoch definitiv etwas anderes und für diesen Roman sollte man sich auf jeden Fall ein wenig Zeit nehmen, auch wenn die Seitenzahl eher gering ist.
Die Verletzung am Kopf war vielleicht der Preis für mein großes Glück, aber selbst dann – solange ich nicht die Freude am Leben verlor, gab es nichts zu beklagen. (Banana Yoshimoto, Lebensgeister, S. 44)
Was mir außerdem gefallen hat, waren die vielen Fußnoten, in denen Worte übersetzt und Orte sowie Sehenswürdigkeiten in Kyoto beschrieben wurden. Das bringt einem Leser, der diese nicht kennt, nämlich auch die Kultur ein wenig näher.
Lebensgeister
Insgesamt ist Lebensgeister ein Buch, das zum Nachdenken anregt. Die traurigen und melancholischen Töne, die es anschlägt, lassen doch auch immer wieder Hoffnung und Dankbarkeit hindurchscheinen. So lässt es den Leser am Ende nicht allein mit negativen Gefühlen zurück. Am besten hat mir die schöne, poetische Sprache gefallen, die das Buch neben den philosophischen Gedanken zu etwas Besonderem macht.
Lebensgeister
Banana Yoshimoto
Genre: Literatur
Verlag: Diogenes Verlag (September 2016)
160 Seiten (Taschenbuch)
2 Comments
Das klingt definitiv nach einem Buch, für das man in richtiger Stimmung sein muss, trotz weniger Seiten. Denn sonst können auch wenige Seiten plötzlich ganz schön lang werden. Eine schöne Buchbesprechung! :)
Danke :) Ja, auf jeden Fall. Man muss sich Zeit nehmen und sich darauf einlassen, sonst wirkt es nicht. Die Sprache ist einfach so toll, das darf man nicht einfach so runterlesen. Die ganz schönen Stellen habe ich auch mindestens zweimal gelesen ;)