Ist das Cover nicht toll? Ich mag die Farben und das Wellenmuster, das mich so sehr ans Meer erinnert. Eine englische Ehe ist deshalb tatsächlich eines der wenigen Bücher, das mich schon alleine aufgrund des Covers angesprochen und neugierig gemacht hat. Als ich mir dann noch den Klappentext angeschaut habe, war klar, dass ich es auch unbedingt lesen muss. Dieser lässt nämlich schon vermuten, dass es sich um die Geschichte einer unglücklichen Ehe handelt. Und tragische Geschichten sind einfach meistens die interessanteren.

Inhalt

Ingrid hat für ihren Mann, den Literaturprofessor und bewunderten Schriftsteller, alles aufgegeben, was ihr wichtig war. Doch statt ihn mit ihren Gedanken und Sehnsüchten zu konfrontieren, schreibt sie ihm Briefe, die sie in seiner Bibliothek versteckt. Bis sie eines Tages spurlos verschwindet. Zwölf Jahre später beginnt ihre Tochter Flora nach ihr zu suchen, ohne zu ahnen, dass sie nur die Bücher ihres Vaters aufschlagen müsste, um Antworten auf ihre Fragen zu finden. (© Piper)

What could possibly go wrong?

Eine junge Frau, die sich in ihren viele Jahre älteren Literaturprofessor verliebt und alles, was ihr wichtig war, für ihn aufgibt: Was könnte da wohl schiefgehen?

Zugegeben, die Prämisse klingt nicht sonderlich spannend und originell, die Umsetzung ist es aber dann doch. Schon der Prolog macht große Lust darauf, die gesamte Geschichte hinter der englischen Ehe zu ergründen. Dieser beginnt nämlich mit Gil, dem Ehemann, dem das Verschwinden seiner Frau immer noch zusetzt. Er erscheint etwas exzentrisch, aber sympathisch und als Leser*in fühlt man sofort mit ihm. Die Trauer um seine verschwundene Frau scheint echt und auch seine Hilflosigkeit. Warum sie weg ist, ob sie überhaupt noch lebt, das alles weiß Gil nicht und so hofft er, dass sie irgendwann wiederkommt, denn er liebt sie natürlich noch immer.


Gil Coleman blickte aus dem Fenster der Buchhandlung im ersten Stock und sah seine tote Frau unten auf dem Gehweg.

Claire Fuller: Eine englische Ehe, S. 1.

Nach dem Prolog, in dem man zunächst Gil kennenlernt, geht die Geschichte mit Flora, seiner jüngsten Tochter, weiter. Sie wird von ihrer älteren Schwester Nan nach Hause gebeten, da es Gil nicht gut geht und sie sich um ihn kümmern müssen. Nun wird Flora mit ihrer ungewissen und unangenehmen Familiensituation konfrontiert, was sie lieber vermieden hätte.

Ungewissheit vs. Wahrheit

Flora steht zwar im Fokus der Erzählung, doch viel über ihr Erwachsenenleben erfährt man nicht. Stattdessen erinnert sie sich an viele, hauptsächlich schöne Erlebnisse aus ihrer Kindheit. Es wird deutlich, wie sie das Verschwinden ihrer Mutter verarbeitet hat und wie es ihr jetzt, so viele Jahre später, damit geht: Die Ungewissheit über den Verbleib ihrer Mutter ist ihr ständiger Begleiter, der ihr aber auch Hoffnung gibt. Schnell wird auch klar, dass Flora einen etwas naiven Blick auf die Vergangenheit hat. Ihre Schwester Nan sieht diese reflektierter und zwingt Flora dazu, sich ebenfalls damit auseinanderzusetzen.

Die Abschnitte über Flora wechseln sich mit den Briefen von Ingrid ab. Jahre vor ihrem Verschwinden hat Ingrid damit begonnen, Briefe an ihren Mann zu schreiben und diese in Büchern zu verstecken. In den Briefen schreibt sie über ihre gemeinsamen Erlebnisse, ihre Ehe und ihr Familienleben. Sie beginnt mit dem Kennenlernen und schreibt chronologisch weiter.

So wird nach und nach offenbart, wie die Familie in ihre aktuelle Situation gekommen ist. Dabei verändert sich das Bild, das man zu Beginn von der Familie bekommen hat. Die verschiedenen Perspektiven – in erster Linie von Flora und Ingrid, in Teilen aber auch von Gil und Nan – schaffen ein komplexes Familienbild und führen dazu, dass sich die eigene Meinung über die Ehe von Gil und Ingrid langsam aber stetig verändert.

Interessanter Aufbau und fesselnder Stil

Der Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit bringt Spannung und auch ein gewisses Tempo in die Geschichte. Die Seiten fliegen nur so dahin. Dabei sind die „normalen“ Kapitel über Flora ein klein wenig uninteressanter, allerdings oft auch kürzer als Ingrids Briefe.

Die Briefe sind an Gil gerichtet und daher in der zweiten Person geschrieben. Das kommt in Romanen normalerweise nur in der wörtlichen Rede vor. Oder eben in Briefen und die ziehen sich in dieser Menge dann doch eher selten durch ein gesamtes Buch. Ingrid spricht Gil und somit auch den Leser direkt an. Das wirkt beim Lesen zunächst ein wenig befremdlich, aber es schafft auch Intimität. Dadurch wiederum wird Ingrids Geschichte glaubhaft. Sie wird so glaubhaft, dass ich mich zum Ende hin selbst ein wenig in die Geschichte hineingesteigert habe und immer wütender wurde.

Vieles wird zwischen den Zeilen deutlich – besonders in Ingrids Briefen, die auch durch die Anspielungen so authentisch sind. Das Ende ist komplett offen, was mir gut gefallen hat und außerdem zur Geschichte passt. Immer wieder taucht nämlich die Frage auf: Ist es besser im Ungewissen zu sein, als eine möglicherweise unschöne Wahrheit zu erfahren?

Alles Geschriebene existiert nur, wenn es auch jemand liest, und jeder Leser nimmt etwas anderes aus einem Roman mit, einem Kapitel, einer Zeile. (…) Ein Buch wird erste lebendig, wenn es mit dem Leser kommuniziert.

Claire Fuller: Eine englische Ehe, S. 36.
 

Eine englische Ehe

Eine englische Ehe von Claire Fuller ist ein interessanter Roman, der durch seinen besonderen Aufbau und Stil einen Sog entwickelt, dem man sich nicht entziehen kann. Die Geschichte ist nicht wirklich schön, eher tragisch, doch sie fasziniert. Die vielen offenen Fragen und den Interpretationsspielraum, den das Buch bietet, muss man allerdings mögen, um Gefallen an der Geschichte zu finden.

   

Weitere Rezensionen

I am Jane
Nordseiten

Eine englische Ehe_Claire FullerTitel: Eine englische Ehe

Autorin: Claire Fuller
Verlag: Piper
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Belletristik, Gegenwartsliteratur

Seiten: 368
Format: Hardcover
Übersetzung:  Susanne Höbel
Originaltitel: Swimming Lessons

6 Comments

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  3. Ein in seiner narrativen Struktur und der Skizzierung des handelnden Personals wirklich stimmiger Roman, den ich ebenfalls gerne las. Ich empfehle zudem „Bittere Orangen“ von Claire Fuller, auch dieses Buch wusste mir sehr zu gefallen!

    • Anka

      Vielen Dank für den Tipp! Das klingt ja ähnlich interessant wie „Eine englische Ehe“ und da mir Fullers Erzählstil so gut gefallen hat, habe ich nun große Lust auch dieses Buch von ihr zu lesen.