Mit Doctor Sleep liefert Stephen King nach fast 30 Jahren eine Fortsetzung zu einem seiner bekanntesten Werke, nämlich Shining. Ob die Fortsetzung gelungen ist oder ob man sie sich besser sparen sollte, erfahrt ihr in meiner Rezension.

Inhalt

Der Klappentext ist für meinen Geschmack schon viel zu ausführlich, weshalb ich ihn vorher nicht gelesen habe. Hier ist er trotzdem vollständig, aber wer lieber weniger über den Inhalt erfahren möchte, kann den zweiten Abschnitt einfach überspringen.

“Auf Amerikas Highways ist eine mörderische Sekte unterwegs. Sie hat es auf Kinder abgesehen, die das Shining haben. Stephen King kehrt zu den Figuren und Szenerien eines seiner berühmtesten Romane zurück: Der Dreirad fahrende kleine Danny, der im Hotel Overlook so unter seinem besessenen Vater hat leiden müssen, ist erwachsen geworden. Aber die Vergangenheit lässt ihn nicht los, und wieder gerät er in einen Kampf zwischen Gut und Böse. Die zwölfjährige Abra hat das Shining. Kann er sie retten?

Nur mühevoll kann Dan Torrance die Schrecken verarbeiten, die er als kleines Kind im Hotel Overlook erlitten hat. Obendrein hat er die Suchtkrankheit seines besessenen Vaters geerbt und nimmt daher fleißig an Treffen der Anonymen Alkoholiker teil. Seine paranormalen Fähigkeiten – das Shining – setzt er nun in seinem Beruf ein: In einem Hospiz spendet er Sterbenden in ihren letzten Stunden Trost. Man nennt ihn liebevoll Doctor Sleep. Währenddessen ist in ganz Amerika eine Sekte auf der Suche nach ihrem Lebenselixier unterwegs. Ihre Mitglieder sehen so unscheinbar aus wie der landläufige Tourist – Ruheständler in Polyesterkleidung, die in ihr Wohnmobil vernarrt sind. Aber sie sind nahezu unsterblich, wenn sie sich vom letzten Lebenshauch jener Menschen ernähren, die das Shining besitzen. Das Mädchen Abra Stone besitzt es im Übermaß und gerät ins Visier der mörderischen Sekte. Um sie zu retten, weckt Dan die tief in ihm schlummernden Dämonen und ruft sie in einen alles entscheidenden Kampf. (© Heyne)

Eine würdige Fortsetzung des Horror-Klassikers?

Mit Doctor Sleep hat King eine Fortsetzung zu Shining geschrieben. Abgesehen von der Reihe Der dunkle Turm ist es, soweit ich weiß, die einzige Fortsetzung, die er bisher geschrieben hat. Ziemlich ungewöhnlich also, aber ich finde es hat sich absolut gelohnt. Ich habe dieses Buch übrigens direkt im Anschluss an Shining gelesen, was eine gute Entscheidung war. Hin und wieder begegneten mir nämlich bekannte Motive und auch kleine Anspielungen konnte ich dadurch sofort zuordnen. Allerdings ist es auch kein Problem Doctor Sleep zu lesen, ohne Shining zu kennen. Ich finde es nur allgemein immer schön, Verweise (auch zu komplett anderen Büchern) zu erkennen und zu verstehen.

Doctor Sleep konnte mich deutlich mehr begeistern als Shining, zu dem ich ebenfalls eine Rezension geschrieben habe. Ich vermute dies lag an den Personen, die mir hier besser gefallen haben und zum Teil auch einfach sympathischer waren. Dan hatte ich ja schon in Shining sehr ins Herz geschlossen und trotz seiner Situation zu Beginn der Geschichte hat sich daran nichts geändert. Gleiches gilt für die zwölfjährige Abra. Insgesamt spielen in Doctor Sleep deutlich mehr Figuren eine wichtige Rolle, was die ganze Geschichte actionreicher macht. Es geht weniger um die Psyche und den Charakter der einzelnen Beteiligten und auch die Horrorelemente spielen im Gegensatz zu Shining keine große Rolle. Stattdessen geht es um die Straftaten einer mörderischen Sekte, deren Mitglieder allerdings einige übernatürliche Fähigkeiten haben.

Ähnlich ist jedoch der Aufbau, der mir schon in Shining gut gefallen hatte. Dort entwickelt sich durch den Wechsel zwischen Jacks, Wendys und Dannys Perspektive eine gewisse Dynamik, die zum Ende hin immer mehr an Fahrt aufnimmt und sich bis zum Finale steigert. In Doctor Sleep begleitet der Leser sowohl Dan und Abra als auch verschiedene Mitglieder der Sekte und erhält so einen Einblick ins Leben sämtlicher Akteure. Das ist nicht nur interessant, sondern trägt auch zur Spannung bei und bringt ähnlich wie im Vorgänger Tempo in die Geschichte, die auch hier eher ruhig beginnt und erst im weiteren Verlauf an Fahrt aufnimmt.

Doctor Sleep

(K)ein strahlender Held

Doctor Sleep schließt relativ direkt an seinen Vorgänger an, sprich drei Jahre nach den Ereignissen im Hotel Overlook. Ein weiteres Mal erlebt man als Leser den kleinen Danny Torrance und erfährt, wie es ihm “danach” so ergeht. Nach diesem Prolog gibt es jedoch einen Zeitsprung, Dan ist nun erwachsen und lebt ein etwas fragwürdiges Leben. Nach seinen traumatischen Erlebnissen in der Kindheit nicht wirklich überraschend. Trotzdem hat es mich ein wenig getroffen, dass sich Dan so extrem verändert hat und von dem Kind von damals nichts mehr übrig zu sein scheint.

King erzählt Dans Geschichte so glaubwürdig und gerade das war ein Punkt, der mir richtig gut gefallen hat. Dans Probleme, seine Sucht und der Versuch, von dieser loszukommen, wurden sehr eindrücklich geschildert. Ich vermute, dass hier auch Kings eigene Erfahrungen mit eingeflossen sind, was die Authentizität der Erzählung erklärt.

Mit seinen Problemen und dem ständigen Kampf, der für ihn nie ganz aufhören wird, ist Dan vor allem zu Beginn der Geschichte alles andere als ein Held. Desto weiter die Geschichte jedoch voran schreitet, desto mehr ändert sich das. Der Antiheld verwandelt sich in einen strahlenden Helden. Das passiert allerdings nicht einfach so, denn der Weg dahin ist lang und nicht gerade leicht. Glaubhaft wird vermittelt, wie Dan dies mit der Unterstützung seiner neu gewonnen Freunde allmählich schafft und wie er schließlich versucht, für Abra stark zu bleiben.

Damit komme ich zu einem letzten Punkt, der mir wirklich gut gefallen hat: Die Beziehung zwischen Dan und Abra. Dan ist für Abra ein Freund und Mentor und ihre Beziehung entwickelt sich sehr langsam. Das erste Treffen der beiden war für mich eine der schönsten Stellen im Buch. Der Umgang der beiden miteinander ist einfach sehr schön und gefühlvoll, denn durch ihre spezielle Gabe verstehen sie einander wie kein anderer sie verstehen könnte. Mit einer teilweise so rührenden Geschichte hatte ich tatsächlich nicht gerechnet, fand es aber gut und wirklich passend.

Doctor Sleep

Doctor Sleep ist kein zweites Shining, darüber sollte man sich im Klaren sein. Die Horror-Elemente halten sich in Grenzen, stattdessen gibt es eher Action-Szenen. Auch die Psyche der Figuren steht nicht so sehr im Fokus wie im Vorgänger, allerdings ist das Figurenspektrum deutlich vielfältiger. Die Figuren sind alle sehr schön ausgestaltet und nicht nur die Protagonisten schließt man schnell ins Herz, sondern auch einige Nebencharaktere sind wirklich sympathisch und besonders. Die Antagonisten werden dabei keineswegs vernachlässigt, denn auch sie sind facettenreich gezeichnet und interessant.

Die Story ist spannend und obwohl es eher ruhig losgeht, konnte sie mich schon zu Beginn fesseln. Das liegt nicht zuletzt auch an Kings Schreibstil, der mir wie immer sehr gut gefallen hat. Mit der wechselnden Perspektive kommt Dynamik in die Geschichte und die Spannung wird im Verlauf ständig gesteigert. Von mir gibt es daher eine klare Leseempfehlung – nicht nur für King-Fans.

Doctor Sleep

Stephen King
Genre: Horror
Verlag: Heyne (Oktober 2013)
504 Seiten (eBook)

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