Paris oder: Wir lesen Frauen, die Zweite

Meine letzten Kurzrezensionen habe ich unter dem Titel „Wir lesen Frauen“ veröffentlicht. Auch diesmal stelle ich ausschließlich Bücher von Autorinnen vor, aber die Bücher haben noch etwas anderes gemeinsam: Alle drei spielen in Paris. Wer jetzt an „Paris, die Stadt der Liebe“ denkt, den muss ich leider enttäuschen. Mit Liebe haben die drei Romane wenig zu tun. Stattdessen wird es düster, geheimnisvoll und bedrückend.

Das Leben des Vernon Subutex – Virginie Despentes

Ich weiß gar nicht mehr genau, wie ich auf Das Leben des Vernon Subutex von Virginie Despentes aufmerksam geworden bin. In der Buchhandlung las ich jedenfalls den Klappentext, der interessant klang und auch das Cover fand ich ansprechend und so hab ich es ziemlich spontan gekauft.

In ihrem Roman zeichnet Virginie Despentes ein zeitgenössisches Bild der französischen Gesellschaft. Im Mittelpunkt steht Vernon Subutex, der Job und Wohnung verliert, sich aber zu sehr schämt, um Hilfe zu suchen bzw. diese in Anspruch zu nehmen. Stattdessen denkt er sich Lügen aus, um immer wieder kurzzeitig bei Freunden und Bekannten in Paris unterzukommen. Die Menschen, mit denen Vernon – und damit auch die Leser*innen – so in Kontakt kommt, bilden eine Vielzahl unterschiedlichster Lebensmodelle und Einstellungen ab.

Diese einzelnen Erzählungen aus den sehr unterschiedlichen Leben der Menschen machen das Buch aus. Oft sind sie spannend, hin und wieder ziehen sich die Erzählungen aber auch und nicht alle haben mir gleichermaßen gefallen. Es gibt im Roman wohl kaum ein Thema, das nicht in irgendeiner Art und Weise zur Sprache kommt. Eine fortlaufende Handlung gibt es hingegen nicht wirklich, doch mit dem Protagonisten zieht sich ein roter Faden durch das Buch, der besonders zum Ende hin wichtig wird. Da nimmt die Geschichte nochmal an Fahrt auf, so dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Was mir allerdings nicht so gut gefallen hat, ist die stellenweise sehr vulgäre Sprache. Insgesamt tue ich mich mit einer Bewertung des Buches schwer. Teilweise ist es faszinierend, teilweise ist es aber auch zu viel von allem. Das Leben des Vernon Subutex ist pessimistisch, zynisch, brutal – aber irgendwie auch lesenswert.

Es gibt übrigens auch noch einen zweiten und dritten Teil, die ich aber beide noch nicht gelesen habe. Neugierig bin ich aber schon, wie sich Vernons Situation weiter entwickelt.

Klappentext

Gerade noch war Vernon Subutex erfolgreicher Besitzer eines Kult-Plattenladens in Paris, mit besten Kontakten, als sein altes Leben plötzlich zusammenbricht. Ohne Job, ohne Wohnung muss er sehen, wie er zurechtkommt, und quartiert sich mithilfe von Facebook reihum bei alten Freunden ein. Doch auch an ihnen ist das Leben nicht spurlos vorübergegangen. In ihrem Roman, der in Frankreich ein Riesenbestseller war, entwirft Virginie Despentes ein großartiges Sittengemälde einer zutiefst verunsicherten Gesellschaft. (© Kiepenheuer  & Witsch)

Das Leben des Vernon Subutex_Virginie Despentes

Titel: Das Leben des Vernon Subutex

Autorin: Virginie Despentes
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Belletristik, Gegenwartsliteratur

Seiten: 400
Format: Broschur
Übersetzung: Claudia Steinitz
Originaltitel: Vernon Subutex

Nach einer wahren Geschichte – Delphine de Vigan

In Nach einer wahren Geschichte spielt die Autorin Delphine de Vigan mit Wahrheit und Authentizität im Fiktionalen, was auch schon der Titel andeutet. Die Autorin, die in Paris lebt, ist selbst die Protagonistin ihres Romans. Sie erzählt aus ihrer Perspektive vom Kennenlernen mit L., deren vollständiger Name nie genannt wird, und wie sie Freundinnen werden. L. ist überzeugt, dass Delphine nach ihrem Erfolg mit dem autobiografischen Roman über ihre Mutter nur noch über Wahres, über das, was wirklich passiert, schreiben sollte.

Dass im Roman nun gewisse Dinge tatsächlich der Realität entsprechen, ist klar und offensichtlich. Doch wie sieht es mit der geheimnisvollen L. aus? Ist sie Realität oder Fiktion? Wo verläuft hier die Grenze? Delphine de Vigan gelingt es, genau diese Grenzen verschwimmen zu lassen. Als Leser*in versucht man, die Wahrheit herauszufinden, doch das macht die Autorin so gut wie unmöglich. Intelligent und unterhaltsam setzt sich Delphine de Vigan in ihrem Roman mit Wahrheit und Fiktion auseinander und bringt die Leser*innen dazu, dies ebenfalls zu tun. Wer gefallen an diesem Spiel findet, sollte Nach einer wahren Geschichte lesen.

Klappentext

Zwei Frauen lernen sich auf einer Party kennen. Die zurückhaltende Delphine, die sich mit fremden Menschen meist sehr schwer tut, ist sofort fasziniert von der klugen und eleganten L., die als Ghostwriter arbeitet. Aus gelegentlichen
Treffen werden regelmäßige, man erzählt einander das eigene Leben, spricht über Familie und Freunde, vor allem über Freundinnen. Und natürlich über Bücher und Filme, die man liebt und bewundert. Delphine ist glücklich über die Gemeinsamkeiten und fühlt sich verstanden wie schon lange nicht mehr. Ganz entgegen ihrer Gewohnheit gibt sie in einem Gespräch über das Schreiben die Idee für ihr nächstes Buch preis. L. reagiert enttäuscht: Wie nur könne Delphine ihre Zeit auf eine erfundene Geschichte verschwenden? Eine Autorin ihres Formats müsse sich der Wahrheit verschreiben. Delphine ist entsetzt. L.s leidenschaftlich vorgetragene Forderung löst eine tiefe Verunsicherung in ihr aus. Bald kann sie weder Papier noch Stift in die Hand nehmen. L. scheint völlig unglücklich über das zu sein, was sie in der Freundin ausgelöst hat. Selbstlos übernimmt sie die Beantwortung von E-Mails, das Absagen von Lesungen und Interviews, das Vertrösten des Verlags, der auf einen neuen Roman wartet. Und all das in Delphines Namen. Keiner weiß davon, keiner kennt L., und so ist Delphine allein, als sie feststellt, dass L. ihr immer ähnlicher wird …
(© Dumont)

Delphine de Vigan_Nach einer wahren GeschichteTitel: Nach einer wahren Geschichte

Autorin: Delphine de Vigan
Verlag: Dumont
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Belletristik, Roman

Seiten: 350
Format: Hardcover
Übersetzung: Doris Heinemann
Originaltitel: D’après une histoire vraie

Runas Schweigen – Vera Buck

Runas Schweigen von Vera Buck würde ich als eine Mischung aus Historischem Roman und Mystery-Geschichte beschreiben. Der Roman spielt in Paris oder genauer gesagt: in der bekanntesten psychiatrischen Anstalt des 19. Jahrhunderts, der Salpêtrière. Dort will der Medizinstudent Jori seinen Doktortitel machen und hofft, dadurch anschließend ein privates Problem lösen zu können. Seine Geschichte bildet die Rahmenhandlung, mit der sich Runas Geschichte im Verlauf der Handlung verknüpft. Es geschehen mysteriöse Dinge, Menschen sterben und Runa bleibt lange ein Rätsel für die Leser*innen. Erst zum Ende hin verbinden sich die verschiedenen Handlungsstränge und es entsteht ein stimmiges Gesamtbild.

Dieses Buch ist nichts für zart besaitete Gemüter, denn Vera Buck beschreibt die Praktiken in der Salpêtrière ebenso eindrücklich wie schauderhaft. So erzeugt sie Spannung, oft aber auch Abscheu. Das Setting hat mir ziemlich gut gefallen und mit einigen historischen Fakten und Persönlichkeiten scheint es auch authentisch. Der Roman macht insgesamt einen gut recherchierten Eindruck. Ebenfalls stimmig sind die vielen Figuren, deren Ausarbeitung mich überzeugen konnte. Runas Schweigen ist spannend, mysteriös und fesselnd. Einziger winziger Kritikpunkt: Der Anfang war etwas langatmig.

Klappentext

Paris, 1884. In die neurologische Abteilung der Salpêtrière-Klinik wird ein kleines Mädchen eingeliefert: Runa, die allen erprobten Behandlungsmethoden trotzt und den berühmten Arzt und Hysterieforscher Dr. Charcot vor versammeltem Expertenpublikum blamiert. Jori Hell, ein Schweizer Medizinstudent, wittert seine Chance, an den ersehnten Doktortitel zu gelangen, und schlägt das bis dahin Undenkbare vor. Als erster Mediziner will er eine Patientin heilen, indem er eine Operation an ihrem Gehirn durchführt. Was er nicht ahnt: Runa hat mysteriöse Botschaften in der ganzen Stadt hinterlassen, auf die auch andere längst aufmerksam geworden sind. Und sie kennt Joris dunkelstes Geheimnis … (© blanvalet)

Runas Schweigen von Vera Buck

Titel: Runas Schweigen

Autorin: Vera Buck
Verlag: blanvalet
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Historischer Roman, Mystery

Seiten: 624
Format: Taschenbuch
Originaltitel: Runa