Es ist schon eine Weile her, dass Die Vegetarierin von Han Kang einen kleinen Hype in Deutschland erfahren hat. Dabei handelte es sich um den ersten Roman der südkoreanischen Autorin, der ins Deutsche übersetzt wurde. Ein Jahr darauf folgte mit Menschenwerk schon der zweite, den ich allerdings noch nicht gelesen habe. Nach der Lektüre von Die Vegetarierin habe ich mich aber schon gewundert, dass der Roman nicht schon früher übersetzt wurde, denn auf Koreanisch ist er schon 2007 erschienen. Vielleicht liegt es nur an meiner Wahrnehmung, aber asiatische Literatur ist in Deutschland irgendwie Mangelware. Darum möchte ich euch diesen Roman auch gerne vorstellen.
Inhalt
„Ein seltsam verstörendes, hypnotisierendes Buch über eine Frau, die laut ihrem Ehemann an Durchschnittlichkeit kaum zu übertreffen ist – bis sie eines Tages beschließt, kein Fleisch mehr zu essen.
»Bevor meine Frau zur Vegetarierin wurde, hielt ich sie für nichts Besonderes. Bei unserer ersten Begegnung fand ich sie nicht einmal attraktiv. Mittelgroß, ein Topfschnitt, irgendwo zwischen kurz und lang, gelbliche unreine Haut, Schlupflider und dominante Wangenknochen. So fühlte ich mich weder von ihr angezogen noch abgestoßen und sah daher keinen Grund, sie nicht zu heiraten.«
Yeong-Hye und ihr Ehemann sind ganz gewöhnliche Leute. Er geht beflissen seinem Bürojob nach und hegt keinerlei Ambitionen. Sie ist eine zwar leidenschaftslose, aber pflichtbewusste Hausfrau. Die angenehme Eintönigkeit ihrer Ehe wird jäh gefährdet, als Yeong-Hye beschließt, sich fortan ausschließlich vegetarisch zu ernähren und alle tierischen Produkte aus dem Haushalt entfernt. »Ich hatte einen Traum«, so ihre einzige Erklärung. Ein kleiner Akt der Unabhängigkeit, aber ein fataler, denn in einem Land wie Südkorea, in dem strenge soziale Normen herrschen, gilt der Vegetarismus als subversiv. Doch damit nicht genug. Bald nimmt Yeong-Hyes passive Rebellion immer groteskere Ausmaße an. Sie, die niemals gerne einen BH getragen hat, fängt an, sich in der Öffentlichkeit zu entblößen und von einem Leben als Pflanze zu träumen. Bis sich ihre gesamte Familie gegen sie wendet.
Die Vegetarierin ist eine kafkaeske Geschichte in drei Akten über Scham und Begierde, Macht und Obsession sowie unsere zum Scheitern verurteilten Versuche, den Anderen zu verstehen, der ja doch, wie man selbst, Gefangener im eigenen Leib ist.“ (© Aufbau Verlag)
Tragödie in drei Akten
Die Geschichte besteht aus drei Teilen, die aus verschiedenen Perspektiven erzählt werden. Im ersten Teil erzählt der Ehemann von Yong-Hye, wie seine Frau anfängt, sich seltsam zu benehmen. Es beginnt damit, dass sie zur Vegetarierin bzw. eigentlich sogar zur Veganerin wird. Als Begründung führt sie einen Traum an, den sie hatte. Dieser Traum ist das einzige, was Yong-Hyes aus ihrer Perspektive erzählt. Was genau in dem Traum passiert, wovon er handelt und was er bedeutet, lässt sich nicht eindeutig sagen. Darin ähnelt die Erzählung echten Träumen, die eben oft unlogisch und unzusammenhängend sind.
Der zweite Teil der Geschichte wird aus der Perspektive von Yong-Hyes Schwager erzählt. Nachdem sie nämlich begonnen hat, sich so seltsam zu benehmen, versucht die Familie ihr zunächst noch zu helfen. Der Mann ihrer Schwester hat jedoch ein ganz spezielles Interesse an Yong-Hye. Er nutzt ihre Situation, die mehr und mehr den Eindruck einer psychischen Störung erweckt, aus.
Im dritten und letzten Teil erzählt schließlich Yong-Hyes Schwester. Sie macht sich mittlerweile große Sorgen und kümmert sich so gut sie kann, um ihre große Schwester. Hier wird zum ersten Mal Persönliches aus dem Leben der Schwestern erzählt und als Leser*in bekommt man weitere Gründe für Yong-Hyes Verhalten geliefert. Wirkliche Erklärungen gibt es allerdings kaum. Stattdessen bleibt das Geschriebene oft vage.
Die Vegetarierin
Die Vegetarierin von Han Kang lässt sehr viel Interpretationsspielraum. Allein dadurch, dass die eigentliche Protagonistin nicht zu Wort kommt, bleiben viele Fragen offen. Sie wird nur durch die Personen in ihrem Umfeld charakterisiert, die ihr ebenso wenig in den Kopf schauen können, wie die Leser*innen. Während die Geschichte noch harmlos beginnt, steigert sie sich am Ende ins Extreme.
Stilistisch und inhaltlich ist Die Vegetarierin interessant und gewaltig. Kafkaesk ist hier wohl das richtige Wort, um die seltsame Geschichte der Yong-Hye zu beschreiben. Ich habe bisher kein vergleichbares Buch gelesen und deshalb empfehle ich es allen, die einmal etwas anderes als einen gewöhnlichen Roman lesen wollen.
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