Nachdem ich Kleine Feuer überall von Celeste Ng gelesen und geliebt habe, musste ich anschließend direkt Was ich euch nicht erzählte lesen. Dabei handelt es sich um den Debütroman der Autorin und meine Erwartungen an diesen waren ziemlich hoch, da er – wie auch ihr zweites Buch – viel gelobt wurde. Ob ich aufgrund meiner hohen Erwartungshaltung enttäuscht wurde oder ob mich die Autorin ein zweites Mal begeistern konnte, lest ihr hier.
Inhalt
»Lydia ist tot.« Der erste Satz, ein Schlag, eine Katastrophe. Am Morgen des 3. Mai 1977 erscheint sie nicht zum Frühstück. Am folgenden Tag findet die Polizei Lydias Leiche. Mord oder Selbstmord? Die Lieblingstochter von James und Marilyn Lee war ein ruhiges, strebsames und intelligentes Mädchen. Für den älteren Bruder Nathan steht fest, dass Jack an Lydias Tod Schuld hat. Marilyn, die ehrgeizige Mutter, geht manisch auf Spurensuche. James Lee, Sohn chinesischer Einwanderer, bricht vor Trauer um die Tochter das Herz. Allein die stille Hannah ahnt etwas von den Problemen der großen Schwester. Was bedeutet es, sein Leben in die Hand zu nehmen? Welche Kraft hat all das Ungesagte, das Menschen oft in einem inneren Abgrund gefangen hält? Nur der Leser erfährt am Ende, was sich in jener Nacht wirklich ereignet hat. (© dtv)
Die Macht des Ungesagten
Was passiert, wenn in einer Familie nicht miteinander geredet wird? Wenn die Familienmitglieder nicht offen und ehrlich miteinander sind? Wenn sie ihre Wünsche und Gefühle unterdrücken und mit niemandem teilen?
Diese Fragen liegen dem Debütroman Was ich euch nicht erzählte von Celeste Ng zugrunde. Die Geschichte beginnt mit einer Familientragödie: Lydia, die älteste Tochter von James und Marilyn Lee, wird vermisst und kurz darauf tot aufgefunden. Wie es zu ihrem Tod kam, ist ein Rätsel.
Celeste Ng erzählt die Geschichte nun nicht chronologisch, sondern wechselt zwischen Gegenwart und Vergangenheit. In der Gegenwart erfahren wir, wie die Familie – James, Marilyn und die Geschwister Nate und Hannah – mit dem Tod von Lydia umgeht. In Rückblicken erzählt die Autorin aus dem Leben der einzelnen Familienmitglieder, so dass man auch Lydia kennenlernt. Dabei erfahren wir auch, wie James und Marilyn vor vielen Jahren ein Paar wurden, heirateten und eine Familie gründeten.
Die Konflikte der Eltern werden dadurch deutlich und nachvollziehbar. James fühlt sich als Sohn chinesischer Einwanderer in Amerika nirgends zugehörig, wird mit Rassismus konfrontiert und versucht krampfhaft sich anzupassen. Marilyn will Ärztin werden und auf keinen Fall wie ihre eigene Mutter als Hausfrau “enden”. Allerdings reden die beiden nicht über ihre Sorgen, ihre Wünsche und Gefühle, so dass schließlich all das Ungesagte eine unglaubliche Macht auf ihr Leben ausübt.
Wie die Vergangenheit die Gegenwart beeinflusst
Die in den Rückblicken geschilderten Ereignisse beeinflussen die Gegenwart. Es wird deutlich, wie sich die einzelnen Familienmitglieder entwickelt haben und welche Auswirkungen das Leben der Eltern auf die Kinder hat. Die Geschwister Lydia, Nate und Hannah leiden auf unterschiedliche Weise unter den gescheiterten Träumen ihrer Eltern.
Lydia steht als Lieblingskind der Eltern immer im Mittelpunkt. Marilyn projiziert ihre eigenen Träume auf ihre Tochter und will ihr ermöglichen, was sie selbst nicht geschafft hat. James glaubt, dass seine Tochter in der Schule sehr beliebt ist. Er möchte, dass sie sich anpasst, um dazuzugehören – etwas, das er selbst versucht, aber nie geschafft hat.
Nate hingegen kann die Erwartungen seines Vaters nicht erfüllen und leidet unter dem schlechten Vater-Sohn-Verhältnis. Hannah, die Jüngste in der Familie, wird weder von ihren Eltern noch von ihren Geschwistern wirklich wahrgenommen.
Diese ungleiche Dynamik der Familie Lee führt bei allen zu viel Kummer und man fragt sich nicht nur einmal, wie viele Probleme durch eine offene Kommunikation hätten verhindert werden können.
Was ich euch nicht erzählte
Die Geschichte ist spannend und interessant aufgebaut. Durch die Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit erhält man nach und nach ein umfangreiches Bild der Familie. Durch die wechselnden Perspektiven werden die Handlungen und Reaktionen aller Familienmitglieder nachvollziehbar, auch wenn mir die Eltern insgesamt eher unsympathisch waren.
Was ich euch nicht erzählte ist eine traurige, bedrückende Geschichte, alleine schon weil man den Ausgang von Beginn an kennt. Das “Wie” ist allerdings so interessant, dass die Geschichte extrem fesselt – wie es auch bei Kleine Feuer überall der Fall ist. Das Ende ist schließlich nicht ganz trostlos, sondern lässt einen hoffnungsvollen Blick auf die Zukunft zu. Ich kann das Debüt von Celeste Ng daher genauso empfehlen wie ihren zweiten Roman und ich hoffe, dass weitere folgen.
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