Ich versuche ja schon seit einer Weile, möglichst unterschiedliche Bücher von möglichst unterschiedlichen Autor*innen zu lesen. Lesen ist für mich immer schon ein Mittel gewesen, neue Lebenswelten abseits der eigenen kennenzulernen. So bin ich auch auf den Debütroman Ellbogen von Fatma Aydemir gekommen.
Inhalt
Sie ist siebzehn. Sie ist in Berlin geboren. Sie heißt Hazal Akgündüz. Eigentlich könnte aus ihr eine gewöhnliche Erwachsene werden. Nur dass ihre aus der Türkei eingewanderten Eltern sich in Deutschland fremd fühlen. Und dass Hazal auf ihrer Suche nach Heimat fatale Fehler begeht. Erst ist es nur ein geklauter Lippenstift. Dann stumpfe Gewalt. Als die Polizei hinter ihr her ist, flieht Hazal nach Istanbul, wo sie noch nie zuvor war.
Warmherzig und wild erzählt Fatma Aydemir von den vielen Menschen, die zwischen den Kulturen und Nationen leben, und von ihrer Suche nach einem Platz in der Welt. Man will Hazal helfen, man will mit ihr durch die Nacht rennen, man will wissen, wie es mit ihr und mit uns allen weitergeht. (© Hanser)
Auf der Suche nach Zugehörigkeit
Die Geschichte beginnt mit Hazals Alltag in Berlin. Sie findet keinen Ausbildungsplatz, besucht daher einen Berufsvorbereitungskurs und jobbt in der Bäckerei ihres Onkels. Von ihren Eltern ist sie genervt und ihre Freizeit verbringt sie, wenn möglich, mit ihren Freundinnen.
So weit, so normal. Doch einiges, was Hazal erlebt, kennen viele Menschen hier in Deutschland – ich eingeschlossen – so gar nicht: Hazal fühlt sich nämlich in Deutschland nicht wirklich Zuhause. Sie ist in Berlin geboren und kennt die Türkei, aus der ihre Eltern stammen, kaum. Doch trotzdem hat sie das Gefühl in ihrem Geburtsland nicht dazu zu gehören. Sie fühlt sich ausgeschlossen und nicht wirklich respektiert. Dies wird in vielen relativ alltäglichen Situationen gezeigt und mehr als deutlich.
Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive erzählt und dabei nimmt die Protagonistin kein Blatt vor den Mund. Hazals Emotionen sind so greifbar, so verständlich und so nachvollziehbar. Ihre Wut und Frustration werden ständig größer und als Leserin ging es mir ähnlich.
Von Berlin nach Istanbul
Der erste Teil des Buches spielt in Deutschland, der zweite in der Türkei. Hier gibt es einen regelrechten Bruch in der Geschichte. Während sich Hazal in Deutschland frech und vorlaut gibt – außer ihren Eltern gegenüber – , ist sie in Istanbul schüchtern und zurückhaltend. Sie muss feststellen, dass ihr die Türkei fremd ist und sie sich mindestens genauso wenig nach Heimat anfühlt wie Deutschland.
Hazal fühlt sich verloren und beginnt in Istanbul damit, sich mit ihrer Lage auseinanderzusetzen. Sie ist ziemlich alleine mit sich und ihren Gedanken und so hat sie Zeit zu reflektieren. Obwohl sie ruhiger und ausgeglichener wird, ändert sich ihre Situation nicht – sie fühlt sich immer noch ausgeschlossen, sie gehört immer noch nicht dazu. Egal ob Deutschland oder Türkei – eine richtige Heimat gibt es für Hazal nicht.
Das Thema des Romans ist somit hochaktuell. Es geht um Integration und kulturelle Zugehörigkeit. Es geht um die Frage nach Heimat, die viele Menschen nicht richtig beantworten können, da sie irgendwo zwischen zwei Kulturen stehen. Die Probleme werden in Ellbogen deutlich. Lösungen gibt es jedoch keine. So hat die Geschichte denn auch kein bzw. ein komplett offenes Ende. Wir wissen nicht, was mit Hazal geschieht, hoffen aber auf das Beste.
Ellbogen
Ellbogen ist ein unglaublich starker Debütroman. Die Autorin Fatma Aydemir versteht es, die Gefühlswelt von Hazal komplex und authentisch darzustellen und dabei den Schreibstil perfekt daran anzupassen. Die Geschichte ist zwar teilweise sehr locker erzählt und durchaus unterhaltsam, doch werden auch viele aktuelle und ernste Themen angesprochen. Themen wie Heimat, Zugehörigkeit, Integration und kulturelle Identität beschäftigen so viele Menschen und es gibt diesbezüglich so viele Probleme, aber keine Lösungen. Ellbogen hilft dabei, sich dessen bewusst zu werden und das ist zumindest ein erster Schritt. Daher gibt es für den Roman eine absolute Leseempfehlung.
Weitere Rezensionen
KeJas-BlogBuch Frau Hemingway Leselust
Autorin: Fatma Aydmir
Verlag: Hanser
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Gegenwartsliteratur, Roman
Seiten: 272
Format: Taschenbuch
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